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Beitrag vom 15.10.2010
This is for all of us - Women in International Security. AVIVA-Bericht von der Fachtagung am 5. Oktober 2010
Evelyn Gaida
Weltweit finden sich bislang wenige Frauen in sicherheits- und verteidigungspolitischen Spitzenpositionen. Entscheidungen über Krieg und Frieden, den Umgang mit internationalen Konflikten sowie ...
... die Gestaltung militärischer Interventionen werden somit in der Regel weitgehend von Männern getroffen. Laut Anja Wehler-Schöck von der Friedrich-Ebert-Stiftung und Dr. Constanze Stelzenmüller, Vorstandsvorsitzende des Women In International Security Deutschland e.V. (WIIS.de), haben die USA auf diesem Gebiet in vielerlei Hinsicht Pionierarbeit geleistet, jedoch gibt es auch dort noch erhebliche Hürden zu überwinden.
10 Jahre UN-Resolution 1325
Bereits am 31. Oktober 2000 wurde die Resolution 1325 vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einstimmig verabschiedet. Ihre Forderung an die Weltgemeinschaft: auf einen höheren Anteil von Frauen auf allen Ebenen "in den nationalen, regionalen und internationalen Institutionen und Mechanismen zur Verhütung, Bewältigung und Beilegung von Konflikten" hinzuarbeiten. Zivilpersonen, insbesondere Frauen und Kinder, stellen dem Resolutionstext zufolge "die weitaus größte Mehrheit der von bewaffneten Konflikten betroffenen Personen".
Men Without Women?
Anlässlich des kommenden 10. Jahrestages der UN-Resolution 1325 hatten WIIS Deutschland, die Friedrich-Ebert-Stiftung und die Amerikanische Botschaft am 5. Oktober 2010 hochrangige amerikanische und deutsche Expertinnen aus dem Sektor der Sicherheits- und Verteidigungspolitik unter dem Titel "Men Without Women? Decision Making in Security and Defense Policy" zum offenen Erfahrungsaustausch und zur Diskussion eingeladen: Dr. Stefanie Babst, NATO, Deputy Assistant Secretary General for Public Diplomacy Strategy, Major Paula D. Broadwell, US Army Major, Kings College War Studies Department, London, Dr. Kathleen Hicks, U.S. Deputy Under Secretary of Defense for Strategy, Plans and Forces, Dr. Constanze Stelzenmüller, Senior Fellow, German Marshall Fund of the U.S./Vorsitzende, Women in International Security Deutschland (WIIS.de), Professor Judith Hicks Stiehm, U.S. Air Force Academy, Colorado Springs, Uta Zapf, MdB, Vorsitzende des Bundestagsunterausschusses für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung.
WIIS hoffnungsvoll
Die deutsche Sektion von Women In International Security ist die größte der Organisation, die 1987 unter anderem von der ehemaligen US-Außenministerin Madeleine Albright gegründet wurde und in Washington D.C. ansässig ist. WIIS verfolgt weltweit das Ziel, den Einfluss von Frauen im Bereich Security Policy entscheidend zu erhöhen. Vor ein paar Jahren hatte Dr. Constanze Stelzenmüller gegenüber der ZEIT noch lapidar feststellen müssen: "Und in Deutschland? Außenministerinnen, Verteidigungsministerinnen, Geheimdienstchefinnen: 0. In Fraktionen und Parteien beschäftigt sich nur eine Handvoll Frauen mit Sicherheitspolitik. Fachkonferenzen werden eröffnet mit den Worten: ´Guten Tag Frau X. Guten Tag meine Herren´." In den USA wurden WIIS zufolge bereits signifikante Erfolge erreicht. Nach Angela Merkels Wahl zur Bundeskanzlerin zeigt sich die Vereinigung auch für die hiesige Entwicklung hoffnungsvoll.
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Dr. Constanze Stelzenmüller, Senior Fellow, German Marshall Fund of the U.S./Vorsitzende, Women in International Security Deutschland © Evelyn Gaida |
Women in Peace- and Security Careers: US Executive BranchIn den Aussagen der Diskussionsteilnehmerinnen spiegelten sich Ergebnisse der
neuen WIIS-Studie "Women in Peace- and Security Careers: US Executive Branch" (April 2010) vielfach wider. Über 90 Frauen in mittleren und höheren Positionen der wichtigsten US-Regierungsinstitutionen waren für die Untersuchung befragt worden.
"Women have made it in the US security sector" hielt Dr. Kathleen Hicks in ihrer "Keynote" zur Tagung fest,
"and there is no sending us back." Die Doppelaussage lautete zum Ende ihres Vortrags "Gendering Security and Defense Policy: The Impact of Female Representation on Policy Decisions" jedoch:
"barriers still remain". In ihren Erörterungen waren wesentliche Kernpunkte der genannten Studie enthalten, die
entscheidende Faktoren für die Arbeit von Frauen auf dem thematisierten Gebiet darstellen, so auch in Deutschland:
Women´s Representation and Credibility, Practicing Leadership, Mentoring/Sponsorship, Work Life Balance.
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Dr. Kathleen Hicks, U.S. Deputy Under Secretary of Defense for Strategy, Plans and Forces © Evelyn Gaida |
Talent und DiversitätIn den
Schlüsseleinrichtungen der US-Sicherheitspolitik, z.B. dem Verteidigungsministerium oder Außenministerium, schwankt die
Zahl der Frauen in leitenden Positionen zwischen 21 und 29%. Hicks erklärte jedoch,
"gender is not a decisive factor of how I approach my career on a daily basis." Auch die Mehrheit der interviewten Frauen sah geschlechtsbedingte Diskriminierung, die in den 50er, 60er und 70er Jahren unverhohlen ausgeübt worden war, nicht mehr als signifikante Karrierebremse. Die Arbeitsbedingungen für Frauen in Regierungsorganisationen habe sich
zum Besseren gewendet, seit den 80er Jahren gelangten mehr Frauen in Spitzenpositionen oder kämen jetzt nach und nach dort an. Diese Veränderungen würden Hicks zufolge von einem
gesellschaftlichen Wandel vorangetrieben. Laut Studie erkennen immer mehr ArbeitgeberInnen das Potential an weiblichem Talent und die Notwendigkeit der Diversität. Ein bestehender
Mangel an Kenntnissen und Ressourcen, die sich der tatsächlichen Teilhabe und spezifischen Situation von Frauen widmen, erschwere jedoch Initiativen zur Förderung von Frauen in Führungspositionen.
Große Chance und viel ArbeitDr. Stefanie Babst sprach von einem gegenwärtigen
"political window of opportunity". Auch den Befragten der Studie zufolge ist der aktuelle Zeitpunkt entscheidend und ein Augenblick großer Möglichkeiten, um Frauen durch gezielte Veränderungen den Weg in führende Regierungsämter zu ebnen. Diesbezüglich sei noch
"a lot of work" notwendig, wie Hicks in ihrer Einführung zum Ausdruck brachte. Die Studie ergab, dass bei weiblichen Führungskräften gegenüber ihren männlichen Kollegen oft ein zweifacher Standard angewendet würde: Frauen gelten hier entweder als
"zu weiblich" oder "zu männlich". Die breite Mehrheit der Befragten legte in ihrer eigenen Führungsstrategie das Gewicht auf Konsens, Kollaboration,
Inklusion und "Teambuilding". Obwohl sie bestimmte Qualitäten nicht einem spezifischen Geschlecht zuordneten, sahen sie diese Fähigkeiten bei Frauen oft in herausragender Weise gegeben.
Mentoring unverzichtbarDr. Hicks beschrieb das
"level of cameraderie and support" unter Frauen ihrer Arbeitsumgebung als
"incredible":
"Women mentor each other and push each other over walls". Alle im Rahmen der WIIS-Untersuchung interviewten Frauen waren sich darüber einig, dass Mentoring für eine Karriere im bundesstaatlichen Sektor von ausschlaggebender Wichtigkeit ist. Hier wurde der Mangel an formellen Mentoring-Programmen von Seiten der Regierung als
Lücke in der professionellen Unterstützung verzeichnet. Dasselbe gilt für Trainingsangebote, die auf Führungsaufgaben vorbereiten, für Frauen jedoch nur schwer zugänglich seien und nicht als natürlicher Teil ihrer Karriereentwicklung angesehen werden.
Frauen ziehen dabei Mentorinnen allerdings nicht vor und es gab keinen Konsens darüber, ob diese andere Frauen mehr unterstützen.
Essenziell: Work Life Balance-RegelungenEine größere Zahl an weiblichen Vorgesetzten könnte jedoch gerade in einem Punkt eine entscheidende Neuorientierung bringen: Die Work Life Balance war seit jeher eine
grundlegende Stellschraube in der Partizipation von Frauen am öffentlichen Leben. Viele Frauen verlassen noch immer ihre Positionen in der Regierungsarbeit, wenn die Erziehung von Kindern als Priorität in den Vordergrund rückt, und wiesen in der Studie auf
überholte Handhabungen des Mutter- oder Vaterschutzes hin. Hicks sah die Problematik als
kardinales Hindernis für Frauen – nur 5% der Frauen und Männer in den betreffenden Institutionen arbeiten in Teilzeit. Flexible Arbeitszeiten müssten laut Studie häufig erst mit den Vorgesetzten individuell, ohne übergeordnete Richtlinien ausgehandelt werden, wobei das Arbeitspensum häufig dasselbe bleibe.
Gerade hier spielen die Einstellungen und Beispiele von Führungskräften eine essenzielle Rolle. Frauen, die auf höhere Entscheidungsebenen aufgestiegen sind, strebten hier Veränderungen an, um eine bessere Umgebung für andere Frauen zu schaffen. Die Untersuchung kam jedoch vor allem zu dem Schluss:
"despite institutional changes, real change will not occur until men take the same level of ownership of work-life challenges." Hier könnten weibliche Führungskräfte in ihren Büros einen bahnbrechenden Akzent der Akzeptanz und Unterstützung setzen.
US-Außenministerin Hillary Rodham Clinton demonstriert an prominenter und einflussreicher Stelle, dass weibliche Führungskräfte eine andere Perspektive auf Problemlösungen haben können: In ihrer
Washington speech vom 6. November 2009 erklärte sie:
"There is nothing that has been more important to me over the course of my lifetime than advancing the rights of women and girls. And it is now a cornerstone of American foreign policy."Unterschiedliche Perspektiven von Frauen aus dem sicherheits- und verteidigungspolitischen Sektor | |
v.l.: Professor Judith Hicks Stiehm, U.S. Air Force Academy, Colorado Springs, Uta Zapf, MdB, Vorsitzende des Bundestagsunterausschusses für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung, Dr. Constanze Stelzenmüller, Senior Fellow, German Marshall Fund of the U.S./Vorsitzende, Women in International Security Deutschland, Dr. Stefanie Babst, NATO, Deputy Assistant Secretary General for Public Diplomacy Strategy © Evelyn Gaida |
Uta Zapf, Jahrgang 1941, erinnerte sich an die
Pionierarbeit ihrer Generation, die notwendig war, um den jetzigen Stand zu erreichen:
"In the mid-80s, asking for women´s issues amongst old men was outrageous." Major Paula D. Broadwell, unter anderem War Studies Doktorandin, Absolventin der Militärakademie West Point und Mutter, berichtete, militärische Strukturen wären ihr als Frau insofern zugutegekommen, als ihre Position nicht angezweifelt würde:
"When I´m an officer, I´m an officer." Auf die Frage, welchen Unterschied eine weibliche Perspektive mache, antwortete sie, dass Männer beispielsweise nicht mit afghanischen Frauen umgehen könnten. Außerdem hätten Frauen im Militärbereich die
Möglichkeit einer doppelten Sichtweise:
"Some women are being trained to think like men, others are being trained to think like women, so you can go back and forth and understand how both of them are thinking." Sie habe gewusst, dass ein Verständnis des militärischen Gebiets mehr Glaubwürdigkeit im Bereich der internationalen Sicherheitspolitik einbringen würde. Professorin Judith Hicks Stiehm, die sich seit Jahren für die
Inklusion von Frauen auf allen Ebenen des Militärs einsetzt und mehrere Bücher zum Thema veröffentlicht hat, gab an, dass die Öffnung der Streitkräfte für Frauen erst ein breiteres gesellschaftliches Bewusstsein für den Militärbereich geschaffen hätte:
"Every civilian has responsibility for the kind of military the country has." | |
Major Paula D. Broadwell, US Army Major, Kings College War Studies Department, London © Evelyn Gaida |
"That debate", fasste Stelzenmüller zusammen,
"is about being allowed something that you want to do." Sie forderte eine Frauenquote für das deutsche Verteidigungsministerium und andere relevante Einrichtungen:
"Frankly, I think it´s a disgrace if it´s not happening." Zapf bezweifelte dagegen, dass eine Quote die geeignetsten Frauen in die Positionen bringen würde. Von 400 NATO Verantwortlichen, die über Politik entscheiden, seien weniger als 15 % Frauen, führte Dr. Stefanie Babst an. Um die Erfüllung der UN-Resolution 1325 voranzubringen sei
politisches Engagement auf Ebene der Regierungschefinnen und -chefs dringend gefordert.
"1325 will not be in the midst of attention unless we put interest in it." Ein Netzwerk von Frauen und ein Erheben ihrer Stimmen sei notwendig
"to get us into the media". "Don´t leave it to the experts, this is for all of us!" lautete Dr. Stelzenmüllers Aufruf zum Ende der Tagung. Mutterschaft, so forderte eine Militärärztin aus dem Publikum, dürfe kein Hindernis sein, um über Krieg und Frieden mitentscheiden zu können, sondern eine besondere Qualifikation.
Weitere Informationen finden Sie unter:Tagungsprogramm:
www.fes.dewww.wiis.deWIIS-Studie
"Women in Peace- and Security Careers: US Executive Branch"germany.usembassy.govwiis.georgetown.eduResolution 1325:
www.frauensicherheitsrat.deImpulse aufnehmen. Verteidigungsminister Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg traf am 21.09. 2010 in Berlin die zivilen Gleichstellungsbeauftragten der BundeswehrKonferenz: "Krisen bewältigen, bewaffnete Konflikte beenden - Friedenspolitische Strategien von Männern und Frauen. Termin: 28.10-30.10.2010, Heinrich-Böll-Stiftung, BerlinDokumentation zur Konferenz: 10 Jahre UN-Resolution 1325. Bilanz, Herausforderungen und Perspektiven vom 24.–26.3. 2010 in BerlinWeiterlesen auf AVIVA-Berlin:25. Forum Globale Fragen am 23. März 2010 - Frauen als Akteure in Friedensprozessen - 10 Jahre VN-Sicherheitsresolution 1325Erklärung des Deutschen Frauenrates zum 08. März 2010Hillary Clintons Comeback als US-Außenministerin"Gelebte Geschichte", die Autobiographie von Hillary Rodham Clinton
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